Die Niederländer lieben es draußen zu sitzen. Wenn irgendwie möglich bieten alle Cafés und Restaurants auch Sitzgelegenheiten im Freien an, seien es auch nur ein paar Stühle auf dem Gehweg vor der Tür. Kaum zeigt sich die Sonne am Himmel, sind die Café-Terrassen überall voll. Bei „terrasjesweer“, sprich Terrassenwetter, gibt es kein Halten mehr.
Egal in welche Stadt ich komme, ich bin immer wieder überrascht, wie viele Straßencafés es gibt. In Zwolle komme ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Die Altstadt dieser Hansestadt scheint nur aus Plätzen und Terrassen zu bestehen. Überall wird Kaffee serviert, Wein eingeschenkt und Köstlichkeiten gereicht. Und wir mittendrin!
An diesem Wochenende ist sogar noch etwas mehr los. Gleich zwei Festivals locken Besucher in die Stadt. Auf dem Festivalgelände von 'Zwolle Unlimited' reihen sich Zelte und Bühnen aneinander. Geschichtenerzähler, Kleinkunst und Musik in allen Varianten verzaubern das bunt gemischte Volk. Kinder mit fantasievoll bemalten Gesichtern rennen wild umher und wissen nicht, was sie als erstes machen sollen. Ins Tipi für spannende Geschichten oder lieber erst auf die Wiese, wo die großen Seifenblasen gemacht werden?
Wein-Genuss
Auch wir haben die Qual der Wahl und entscheiden uns dann für Festival Nr. 2 – das Weinfestival. Wer jetzt nur an feucht-fröhliche Geselligkeit denkt, liegt ganz schön falsch. Natürlich wird unter den Schatten spendenden Bäumen auf dem Platz Grote Kerkplein auch Wein getrunken, aber es wird vor allem informiert, probiert und auch gelernt.
Mit Weingläsern bewaffnet drehen die Gäste eine Runde um den Platz und probieren die Weine der Winzer und Weinhändler aus dem In- und Ausland. Wir lernen Frau Mathern kennen. Sie ist von der Atmosphäre auf dem Festival begeistert und hat schon mehrfach ihre Weine hier präsentiert, erzählt sie uns. Zusammen mit ihrem Sohn betreibt sie ein Weingut in Niederhausen an der Nahe in Rheinland-Pfalz. Wir hätten sehr gerne ihre Weine probiert, aber unsere Masterclass beginnt und wir lernen bei Ariff Jamal erst einmal die Unterschiede von Weinen aus konventionellem und ökologischem Anbau.
Der französische Wein-Profi lässt keinen Zweifel daran, dass die allermeisten konventionellen Weine, unabhängig von der Preisklasse, sehr viel Chemie sehen, bevor sie in meinem Glas landen. Der Verzicht bei ökologischem Anbau bringt bei Weißweinen inzwischen eine gute Qualität, bei den Rotweinen tun sich die Öko-Weinbauern dagegen noch recht schwer.
Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, schmeckt der Wein beim Essen am Abend einfach hervorragend. Wir sind zu Gast im Wijnhuis bei Arjan Broekman, der übrigens auch das Weinfestival ausrichtet. Er lässt es sich dann auch nicht nehmen uns zu unserem 3-Gänge-Menü den jeweils passenden Wein zu servieren.
Ein frisch-fruchtiger Mestizaje Blanco aus Spanien, übrigens zu 100 % biodynamisch, begleitet unseren fein geräucherten Lachs mit einem würzigen Topping aus Seealgen. Und auch der Rotwein, ein 100 % Grenache, den ich zu meinem hervorragenden Steak mit leckerer Grüner-Pfeffer-Jus eingeschenkt bekomme, stammt aus Spanien. Ein italienischer und biologischer Pinot Grigio aus Italien unterstreicht den feinen Geschmack des Heilbutts meines Gegenübers.
Den Namen des sehr süßen Dessertweins aufzuschreiben vergesse ich schlichtweg. Ich bin zu sehr damit beschäftigt, diese köstliche Sünde aus lauwarmer, dickflüssiger Schokolade mit Karamell zu genießen.
Kunst-Genuss
Genuss in völlig anderer Form entdecken wir im Museum De Fundatie. Das Museum für moderne Kunst in Zwolle steht schon lange auf meiner Besuchswunschliste, schon weil ich die Architektur so spannend finde. Die Erweiterung von Museen in historischen Gebäuden finde ich immer sehr interessant und die Lösung in Zwolle mit einem riesigen „Blub“, der Kunst-Wolke, auf dem Dach des neoklassizistischen Gebäudes ist einfach spektakulär.
Kunst von Jeroen Krabbé und von Bob Dylan sind momentan zu sehen. Beide sind eher von anderen Künsten bekannt, Krabbé ist ein niederländischer Schauspieler und die Musik von Bob Dylan kennt im Gegensatz zu seinen Zeichnungen wohl jeder. Am meisten begeistert hat mich aber die Sommer Expo 2017 im Museum. Kunstwerke in allen möglichen Formen und Ausführungen, die die Künstler in einer Art Casting-Veranstaltung selbst einreichen konnten, bevor sie für die Ausstellung ausgewählt wurden. Sehr divers, sehr spannend. Toll!
Shopping-Genuss
Wer Shopping gegenüber einem Besuch im Museum den Vorrang gibt, muss in Zwolle keinesfalls auf interessante Konzepte und Genuss in vielerlei Hinsicht verzichten. „Waanders In de Broeren“, steht selbst auf den Wegweisern in der Stadt angegeben. Kein Wunder, diese Buchhandlung in der ehemaligen Broerenkirche ist weit mehr als ein Ort, um seinen neuen Urlaubsroman zu kaufen.
Kaum haben wir einen Fuß in dieses Bauwerk gesetzt, kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Hohe Säulen, bemaltes Gewölbe, farbenfrohe Verglasungen und eine kunstvolle Kirchenorgel. Dazwischen perfekt eingepasst, Stockwerke voller Bücher und selbst ein Café, wo sich früher der Chorraum befand.
Durch Zufall entdecken wir gleich um die Ecke, zwischen Kirche und alter Stadtmauer, Bij Giel. Pure Neugierde treibt uns in das historische Gebäude und mal wieder können wir uns nicht sattsehen. Die Mode, die Giel hier verkauft, interessiert uns zugegebenermaßen überhaupt nicht. Wir haben nur ein Auge für das ausgefallene und ideenreiche Shop-Design und die wunderbare Raumgestaltung. Ein wahrer Augenschmaus. Ach ja, auch hier kann man natürlich etwas essen und trinken, im Gewölbekeller unter der Boutique ist eine Lounge eingerichtet.
Die Kombination von Shopping und Café begegnet uns noch öfters in der Stadt. Innovative Konzepte mit vielen interessanten Ideen finden wir überall.
Im Engel Winkelcafé bekommen wir nicht nur eine sehr leckere Senfsuppe serviert, eine Spezialität, für die Zwolle und eigentlich die ganze Gegend berühmt ist, wir sind auch von käuflichen Wohnaccessoires umgeben. Wir und die anderen suppenlöffelnden und kuchenessenden Gästen teilen sich den kleinen Raum mit Wollfilz aus Texel, bunten handgezogene Kerzen und farbig schimmernden Trinkgläsern. Dass das Personal auch noch ultra-freundlich ist, tut sein übriges für unser Wohlbefinden.
Kulinarischer Genuss
Apropos Freundlichkeit, bei In den Hoofdwacht nur ein paar Schritte entfernt, gehört das scheinbar auch zum Auswahlkriterium beim Personal. Aufmerksam, zuvorkommend und wie gesagt sehr freundlich werden wir dort am Abend bedient. In einem Restaurant in dieser Lage mitten in Zwolle am Grote Markt, hatte ich eigentlich schon mit einem typischen Touristen-Lokal mit unfreundlicher Bedienung und durchschnittlichem Essen zu überhöhten Preisen gerechnet. Aber nichts ist weniger wahr!
Direkt an die Kirche wurde 1614 die Hoofdwacht, eine Art Polizeibüro, angebaut. Davor, wie früher auf Marktplätzen so üblich, wurden die Verbrecher hingerichtet. Heute steht hier ein übergroßer Erzengel Michael aus geschichtetem, grünlichem Glas. Wir setzen uns sozusagen gleich neben ihn. Obwohl es langsam etwas frischer wird, haben wir uns für einen Sitzplatz im Freien entschieden.
Das Lokal ist als Brasserie und Weinbar konzipiert mit einer Speisekarte aus kleinen Gerichten zu einem Einheitspreis von jeweils 9,- Euro. Ich mag das Konzept. Slow Food in Reinform. Nach jedem Gang entscheidet man, ob und was man als Nächstes essen möchte.
Die Größe des Gerichts entspricht etwa einer Vorspeise, jedoch spielt auch das Preisniveau der Zutaten eine Rolle. Die Portion des Sushimi von Thunfisch und Lachs ist definitiv kleiner als die Kalbspastrami gefüllt mit biologischer Gänseleber. Am Geschmack stehen sich die beiden Gerichte, mit denen wir unser Mahl beginnen, jedoch in nichts nach. Einfach hervorragend!
Die Auswahl auf der Speisekarte ist Gott sei Dank nicht extrem groß, denn mit der Auswahl ist es nicht ganz so einfach. Schon beim Lesen läuft mir das Wasser im Mund zusammen und ich bin froh, dass wir zu zweit sind und dadurch mehr probieren können. Zu jedem Gang wird uns ein passender Wein empfohlen und bei mehreren Möglichkeiten dürfen wir erst einen Schluck probieren, um eine Wahl zu treffen. Toller Service, den ich sehr zu schätzen weiß.
Ein halber Hummer mit Spargel und ein allerköstlichstes Stückchen vom Wagyu Rind auf Kartoffel-Knoblauch-Püree werden unsere nächste Wahl. Ein grüner Veltiner begleitet den Hummer, ein kräftiger Malbec aus Australien das japanische Rind.
Ein bisschen Fleisch darf es noch für uns sein und wir wählen auch noch einen 3. Gang. Klassische Kalbsleber mit Zwiebeln und Speck, herrlich zart und mit einer feinen Soße. Dazu ein ebenso klassischer Chianti aus Italien, der wunderbar zu diesem sehr leckeren Essen passt. Ein kräftiger französischer Rotwein aus Gigondas von der Cotes de Rhone wird zum sehr zarten Rinderfilet auf einem schmackhaften Püree aus Süßkartoffeln serviert, auf das unsere andere Wahl fällt.
Wir sind satt. Aber ein Essen ohne Dessert geht auch nicht. Viel Auswahl an Süßspeisen gibt es nicht, eigentlich steht nur ein Gebäck der Patisserie Huize van Wely auf der Karte. Der Einheitspreis von 9,- Euro gilt auch dafür und für ein Stück Kuchen, auch wenn es vom angeblich besten Konditor der Niederlande ist, ist das ein stolzer Preis.
Wir bestellen natürlich trotzdem und bereuen es keine Sekunde. Was für ein Fest fürs Auge und den Gaumen! Und ja, ich hätte auch gerne noch ein zweites Stück verdrückt.
Reiseinfos
Restaurants in Zwolle
Es gibt unendlich viele Restaurants in Zwolle, u.a. auch das 3-Sterne-Restaurant Librije. An dieser Stelle möchte ich euch die Restaurants empfehlen, die ich besucht habe und wo es mir wirklich sehr gut geschmeckt hat.
Winkelcafè Engel - Grote Markt 3, Zwolle
Sehr sympathisches kleines Café mit leckerem Essen aus hauptsächlich Bio und Fair Trade Produkten. Auch eine schöne Auswahl von besonderen Wohn-Accessoires, die von "besonders netten Menschen" gemacht wurde.
Het Wijnhuis - Grote Kerkplein 7, Zwolle
Grand Café, Weinbar und Restaurant mit feinen Gerichten mittags und abends mit einem guten Preis- / Leistungsverhältnis. Gute Qualität der Zutaten und eine hervorragende Auswahl an Weinen. Unbedingt auch einen Blick auf die wunderschöne Bleiverglasung der historischen Karte von Zwolle im Inneren werfen!
In den Hoofdwacht - Grote Markt 20, Zwolle
Brasserie und Weinbar mit einer leckeren Auswahl an Gerichten zu einem Standardpreis von 9,- Euro. Die Portionen sind in der Größe einer Vorspeise und man bestellt erst nach jedem Gang das folgende Gericht und stellt so sein eigenes Menü zusammen.
Und noch mehr
Museum De Fundatie - Blijmarkt 20, Zwolle
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 11- 17 Uhr
Eintritt: 11,- Euro, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren gratis
Bilderberg Grand Hotel Wientjes - Stationsweg 7, Zwolle
4-Sterne-Hotel mit perfekter Lage zwischen Bahnhof und Altstadt. Frisch renovierte Zimmer und ein hervorragendes Restaurant. Den 'Geprüft und Getestet' Artikel von unserem Aufenthalt dort gibt es unter "Feine Küche im Grand Hotel Wientjes in Zwolle" hier im Blog.
Zum Thema Hansestädte gibt es im Nach-Holland-Blog bereits:
- Feine Küche im Grand Hotel Wientjes in Zwolle
- Radeln auf der Hanseroute, mit dem Fahrrad nach Hasselt und Kampen
- Historische Steine in Zutphen
- Doesburg - Hanse, Senf und Beschaulichkeit
Sehr viele deutschsprachige Infos zu den Hansestädten und der ganzen Region findet ihr auch auf den Websites Hansestädte und Das andere Holland.
Hinweis: Auf unserer Recherchereise Hansestädte wurden wir unterstützt von Euregio und Hanzesteden Marketing. Herzlichen Dank allen Beteiligten, es war wunderbar!
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